Marcel Hossli über die Zukunft der Stiftung Brändi: Betroffene zu Beteiligten machen
Mittlerweile arbeiten und wohnen über 2000 Menschen in der Stiftung Brändi. Sind wir eigentlich die grösste Schweizer Institution für Menschen mit Beeinträchtigung?
Ja, das sind wir tatsächlich, und zwar sowohl bei der Grösse der Belegschaft, wie auch beim Budget, das sich mittlerweile auf gegen 100 Millionen Franken beläuft. Zudem sind wir der zehntgrösste Arbeitgeber der Zentralschweiz und mit 280 Lernenden auch einer der bedeutendsten Lehrbetriebe der Region – hauptsächlich zugunsten von jungen Menschen mit einer Beeinträchtigung.
Was macht denn die Stiftung Brändi so erfolgreich und namhaft als soziale Institution?
Bei Brändi steht der Mensch im Mittelpunkt des Engagements, und die Menschen bei Brändi haben es geschafft, seit der Gründung des Unternehmens eine hervorragende Reputation zu schaffen und kontinuierlich die Leistungsfähigkeit auszubauen. Die Kompetenzen sind immer zum besten Nutzen der Anspruchsgruppen weiterentwickelt worden, und das Engagement der Mitarbeitenden und des Fachpersonals haben das qualitative und quantitative Wachstum möglich gemacht.
Viele Unternehmen nutzten die Covid-Jahre, ihre Strategien zu überdenken und neu zu formulieren. Wieso haben wir ebenfalls diesen Zeitpunkt gewählt?
Die Dynamik der Veränderungen im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld hat sich in den letzten Jahren beschleunigt. Die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch die Schweiz im 2014 spielt dabei eine wesentliche Rolle. Zu Recht verlangt sie die gesellschaftliche Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung. Die wirtschaftlichen Voraussetzungen haben sich seit 2020 eingetrübt und die Inflation beschäftigt auch uns sehr. Zudem haben wir erkannt, dass die Digitalisierung auch in unserer Branche eine hohe Relevanz hat und sich der Fachkräftemangel akzentuiert. Diese Herausforderungen verlangen nach Antworten und sind Anlass dafür gewesen, uns grundlegend Gedanken zu machen über die Erfolgspositionen der Stiftung Brändi.
Können wir davon ausgehen, dass wir unsere erfolgreiche Vergangenheit im selben Stil weiterschreiben können?
Nein, nicht ohne Weiteres. Ein anhaltender Erfolg in der Erfüllung unseres Kernauftrages und der Wahrung der finanziellen Stabilität erfordert die Bereitschaft zum Wandel. Aufgrund der beträchtlichen Veränderungen der Rahmenbedingungen braucht es Mut zur Transformation statt nur das evolutionäre Weiterschreiben der Vergangenheit. Um es bildlich in den Worten unseres Strategiepartners zu formulieren: «Es ist keine gute Idee, auf einer kurvenreichen Strecke über den Blick in den Rückspiegel zu navigieren.»
Du redest also von Transformation. In welchen Bereichen oder Themen sind denn grundlegende Veränderungen zu erwarten?
Es gibt zwei ganz starke Tendenzen, die auf unsere Unternehmung wirken. Einerseits ist dies die Forderung nach verstärkter Inklusion, andererseits die rasende technologische Entwicklung, insbesondere die Digitalisierung. Unser Bestreben, Inklusion zu fördern wird es nötig machen, unseren Wirkungskreis über das angestammte stationäre Wirken hinaus zu erweitern. Dies soll nicht nur im Rahmen von neuen ambulanten Angeboten ausserhalb der Stiftung erfolgen. Wir wollen zudem Menschen ermutigen und den Freiraum schaffen, Verantwortung zu übernehmen und neue Wege zu gehen. So schaffen wir es, Potenziale zu erkennen und zur Entfaltung zu bringen. Dank digitaler Arbeitsinstrumente und automatisierter Prozesse gewinnen wir Freiräume, die wir dazu nutzen, unsere Qualität und Professionalität auch in der agogischen Leistung weiter zu optimieren. Mit dem gezielten Einsatz von Technologien setzen wir neue Standards im Sozialmarkt.
Ambulante Angebote wie neue eigenständige Wohnformen oder Job Coaching gewinnen erfreulicherweise an Bedeutung. Wie passen wir uns dieser Entwicklung an?
Schon im vergangenen Jahr haben in den Bereichen Wohnen und Arbeit die kantonale Anerkennung als Anbieter ambulanter Fachleistungen erlangt. Derartige Kompetenzen und Angebote werden wir in Zukunft gezielt weiter ausbauen. Darüber hinaus werden wir die berufliche Inklusion weiter fördern, indem wir die Wirtschaft ermutigen, Arbeitsplätze für Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen und sich agogische Expertise anzueignen diese oder bei uns abzurufen.
Wer hat denn letztendlich die neue Strategie erarbeitet? Die Geschäftsleitung?
Es ist uns ein grosses Anliegen gewesen, die Belegschaft aktiv in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. In diesem Sinne haben wir das Projektteam «Saphir» so geformt, dass es die Stiftung möglichst gut abbildet. Konkret haben Kolleginnen und Kollegen aus allen Hierarchiestufen, aus allen Geschäftsbereichen und aus zwei Altersgenerationen im Projektteam mitgearbeitet. Die Ergebnisse aus den Arbeiten haben wir jeweils am Ende jeder Entwicklungsphase über Onlinebefragungen mit dem Personal gespiegelt und durch die Antworten Erkenntnisse und Beiträge gewonnen, die uns die Sicherheit vermittelt haben, dem richtigen Weg zu folgen.
Es gibt wohl nur wenige Unternehmen, die so breit aufgestellt sind wie wir: Begleitung von Menschen mit Beeinträchtigung in Arbeit und Wohnen, Industriebetrieb, Restaurants, Gärtnerei, Spiele und weitere Eigenprodukte. Wie findet man den roten Faden für eine Gesamtstrategie?
Die Identität von Brändi weist dem breiten Fächer an Tätigkeiten und unserem täglichen Handeln die Richtung. Was bisher im Leitbild geschrieben stand, werden wir zukünftig kurz und prägnant in einprägsamen Sätzen und den zugehörigen Werten festhalten: Warum gibt es das Unternehmen – sein essenzieller Daseinszweck, was wollen wir konkret erreichen – unsere Vision für die kommenden fünf bis zehn Jahre, und wie wollen wir zusammenarbeiten – unsere essenziellen Werte und Führungsrichtlinien. Und natürlich benötigen wir auch konkrete Handlungsanweisungen – künftig gerafft in fünf strategischen Stossrichtungen.
Neben den finanziellen Leistungsabgeltungen des Kantons und der Invalidenversicherung sind wir auf Aufträge unserer Kund:innen aus Gewerbe und Industrie angewiesen. Wie stellen wir sicher, dass die Stiftung Brändi auch in zehn Jahren noch auf einem soliden finanziellen Fundament steht?
Wir pflegen langjährige, erfolgreiche Zusammenarbeit mit unseren Wirtschaftskunden und der öffentlichen Hand. Mit unseren finanziellen Ressourcen gehen wir verantwortungsvoll um und wir erschlissen neue Finanzierungsquellen, beispielsweise durch den Ausbau des Fundraisings (Spendengewinnung). Insgesamt legen wir ein hohes Augenmerk darauf, wirtschaftlich widerstandsfähig zu bleiben – trotz der sich laufend verändernden Rahmenbedingungen.
Kannst du uns einen kurzen Ausblick geben, wie es jetzt weitergeht?
Die Projektgruppe «Saphir» schliesst in diesen Wochen die Strategiearbeit ab. Im November wird der Stiftungsrat die Freigabe zur Umsetzung erteilen. Und um den Jahreswechsel herum werden wir die Elemente der neuen Strategie intern bekannt machen und damit die Transformation anstossen. Dabei ist es uns wichtig, alle Betroffenen zu Beteiligten zu machen und die Veränderungen stetig, aber in gut bekömmlichen Portionen voranzutreiben. Wir erwarten, dass wir während zweier bis dreier Jahre schon ein beeindruckendes Stücke Weg gehen werden in die Zukunft von Brändi – zugunsten aller Menschen, die bei uns arbeiten, leben und lernen.
Vielen lieben Dank für deine spannenden Worte!
Das Interview führte Matthias Moser, Leiter Fachstelle Marketing und Kommunikation.